Heilbronn
Erzieher soll Schuljungen jahrelang missbraucht haben
- Veröffentlicht: 27.08.2018
- 20:02 Uhr
Jahre vergehen vom Ertappen eines Mannes mit Kinderpornos bis zu seinem Aus als Leiter eines Kindergartens. Beim Prozess gegen ihn wegen Vergewaltigung eines Jungen stehen quälende Fragen im Raum.
er Fall erschütterte bundesweit. Fast sechs Jahre lang soll ein Erzieher einen Schuljungen schwer sexuell missbraucht haben. Mehrere Fälle gelten als Vergewaltigung. Auch Fotos und Videos soll der Mann von seinen Taten gemacht haben. Über Jahre arbeitete er weiter in kirchlichen Kindergärten - obwohl die Polizei ihn längst beim Tauschen von Kinderpornografie erwischt hatte. Auch die Kirche ließ ihn über Monate weiter als Leiter eines Kindergartens arbeiten - obwohl ihr die Vorwürfe bekannt waren. Der Missbrauchsprozess gegen einen 31-Jährigen seit Montag am Landgericht Heilbronn wirft viele quälende Fragen auf (Az.: 2 KLs 32 Js 7465/18).
Von 2012 an und bis Anfang 2018 soll sich der Mann insgesamt 19 Mal meist in seiner Wohnung in Heilbronn an dem Kind vergangen haben. Die Eltern hatten Vertrauen zu dem auch ehrenamtlich aktiven Erzieher, heißt es. Sie ließen ihren Sohn sogar bei ihm übernachten. Mit Handschellen und in einem gestreiften Hemd lässt der Mann am Montag die Anklage mit den hässlichen Details der ihm vorgehaltenen Vergehen nahezu regungslos über sich ergehen.
Die Opfereltern und ihr Kind haben sich den Prozessauftakt erspart. Zuschauer im voll besetzten Sitzungssaal verfolgen die Anklage mit Kopfschütteln.
Zu den Vorwürfen wolle der Angeklagte sich beim nächsten Prozesstag am 18. September äußern, kündigte Verteidiger Thomas Amann an. «Er will für seine Taten einstehen», sagte Amann, der schon ein Geständnis seines Mandanten angekündigt hat. Meike Pirkner, die Vertreterin des heute 13 Jahre alten Opfers, äußerte sich am ersten Prozesstag nicht dazu, wie es dem Jungen geht. Sie scheiterte mit dem Versuch, die Öffentlichkeit für den Opferschutz gänzlich vom Prozess auszuschließen. Das Interesse der Öffentlichkeit sei in diesem Fall sehr groß, sagte die Vorsitzende Richterin Eva Bezold.
Das Landgericht hat zunächst sechs Verhandlungstage bis zum 28. September angesetzt. Fünf Zeugen sind geladen, darunter das Opfer. Ob der Junge aussagen muss, hängt vom Verlauf des Verfahrens und nicht zuletzt vom Geständnis des 31-Jährigen ab. Er lernte das Kind in einem Kindergarten kennen, heißt es. Die Eltern kannten den Erzieher von einem Büchercafé, das er mit seiner Mutter organisierte.
Der seit Anfang März in Haft sitzende 31-Jährige war auch privat und ehrenamtlich umtriebig in Heilbronn. Er organisierte Geburtstagspartys und Ausflüge, hatte sehr viele Kontakte. 2014 wurde er vom Bundesfamilienministerium für seine Arbeit ausgezeichnet.
Für Entsetzen und Kritik an den Ermittlungsbehörden und der Kirche sorgte, dass der Mann noch als Erzieher arbeitete und das Kind missbraucht haben soll, als bereits wegen Kinderpornografie gegen ihn ermittelt wurde. Anfang 2016 kam er ins Visier der Ermittler, im Mai 2016 beschlagnahmte die Polizei bei ihm 13 000 Bilder und Videos mit Kinderpornografie. Der Beruf des Mannes sei damals nicht ermittelt worden, heißt es später. Ein Fehler, wie die Polizei einräumte.
Kinderschutzbund weiß, was schief läuft
Die Kirche als Arbeitgeber muss sich vorhalten lassen, nicht sofort gehandelt zu haben, als sie von den Vorwürfen erfuhr. Noch mehrere Monate arbeitete der Erzieher weiter für die Gemeinde. Ein Krisenteam versucht nun, Licht in die Angelegenheit zu bekommen. Der zuständige Kirchenpfleger zeigte sich selbst an, um ein Disziplinarverfahren gegen sich in Gang zu setzen. Um dies zu führen, setzte die Evangelische Landeskirche Württemberg einen ehemaligen Bundesrichter als Unabhängigen ein. Er habe so viel Zeit, wie er brauche, danach würden Konsequenzen gezogen.
Der Deutsche Kinderschutzbund meint, zu wissen, was schief läuft: Die inzwischen gesetzlich vorgeschriebenen Schutzkonzepte vor Kindesmissbrauch gebe es zwar in vielen Einrichtungen und Vereinen, sie würden aber nicht beachtet, sagte Vizepräsident Christian Zainhofer. «Man muss grundsätzlich weg von dem Gedanken "Bei uns passiert sowas nicht", weil es leider überall passieren kann.»