Suche nach 2. Flugschreiber wird länger dauern
Trauer um Absturzopfer: Regierungschefs am Unglücksort
- Veröffentlicht: 25.03.2015
- 19:26 Uhr
- dpa
Bei dem Flugzeugunglück in Südfrankreich sind 72 Deutsche gestorben. Mehr als 50 davon stammten aus Nordrhein-Westfalen. Die Bergung der Opfer wird voraussichtlich erst am Donnerstag beginnen.
Bei der Flugzeugkatastrophe in den französischen Alpen sind mehr Deutsche ums Leben gekommen als angenommen. Wie Germanwings-Chef Thomas Winkelmann am Mittwoch mitteilte, waren 72 Bundesbürger an Bord, als der Airbus A320 am Dienstagmorgen an einem Hochgebirgsmassiv in Südfrankreich zerschellte. Zunächst hatte die Fluglinie von 67 Deutschen gesprochen, aber betont, dass sich die Zahl noch ändern könne.
Ermittler schließen Explosion aus
Die Ermittlungen zur Ursache des Germanwings-Absturzes in Frankreich stoßen auf unerwartete Probleme. Im Trümmerfeld der Unglücksstelle in den Alpen fanden Bergungskräfte zwar den Sprachrekorder und den Behälter des Flugdatenschreibers. Die eigentliche Blackbox mit gespeicherten Flugdaten blieb zunächst aber verschollen, wie der französische Präsident François Hollande am Mittwoch in Seyne-les-Alpes sagte. Zudem dauerte die Auswertung der Geräusche aus dem Cockpit des Airbus A320 länger als erwartet.
Klar war zunächst nur, dass die Germanwings-Maschine nicht in der Luft explodierte. "Das Flugzeug ist bis zum Schluss geflogen", es habe also keine Explosion gegeben, teilte der Direktor der französischen Untersuchungsbehörde BEA, Rémi Jouty, in Paris mit. Die BEA habe zwar auswertbare Daten aus dem ersten Flugschreiber sichergestellt, könne aber nicht die geringste Erklärung für den Absturz geben. "Wir haben auch nicht die geringste Erklärung dafür, warum dieses Flugzeug auf die Kontaktversuche der Luftraumkontrolle, wie es scheint, nicht geantwortet hat", sagte Jouty.
Merkel, Hollande und Rajoy am Unglücksort
Bundeskanzlerin Angela Merkel traf am Mittag in Begleitung von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in der Nähe der Absturzstelle in Seyne-les-Alpes ein. Mehr als 50 der 72 deutschen Opfer stammten aus Nordrhein-Westfalen, wie Kraft am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur sagte. Gemeinsam mit Frankreichs Präsident Hollande und Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy besichtigte Merkel aus der Luft den Absturzort in einem schwer zugänglichen Tal.
In ersten Gesprächen informierten sich die Kanzlerin über den Verlauf der schwierigen Bergungsarbeiten in dem schwer zugänglichen Gelände des Alpenmassivs. Merkel dankte den Einsatzkräften für deren Arbeit: "Das ist ein Zeichen unglaublicher Freundschaft und Hilfe. Wir sind sehr dankbar", sagte sie.
Nach einer Zwangspause in der Nacht hatten die Bergungsmannschaften am Mittwoch ihre Arbeit wieder aufgenommen. Am frühen Mittwochmorgen starteten die ersten Hubschrauber zu der schwer zugänglichen Unglücksstelle, wo sich die Bergungsteams in das unwegsame Gelände abseilen müssen. Zugleich setzten rund 50 Spezialkräfte, die die Nacht in dem Bergmassiv in Biwaks verbracht hatten, ihren Aufstieg zum Absturzort fort.
Absturzopfer sollen Denkmal bekommen
Die Bergung der 150 Opfer wird nach Einschätzung der Experten extrem schwierig werden. Für die Angehörigen wurde in Seyne-les-Alpes ein "Ort der Stille" eingerichtet, Dolmetscher waren vor Ort. Die Lufthansa will an diesem Donnerstag weitere Hinterbliebene mit Sonderflügen nach Südfrankreich bringen.
Die Opfer des verunglückten Germanwings-Flugs sollen nach einem Bericht ein Denkmal in der Unfallregion bekommen. Der Bürgermeister des Orts Le Vernet habe vorgeschlagen, zwischen Le Vernet und Seyne-les-Alpes ein Monument zu Ehren der Opfer aufzustellen, berichtete der Sender BFMTV am Mittwoch auf seiner Webseite. Bundeskanzlerin Merkel, Frankreichs Präsident Hollande und Spaniens Ministerpräsident Rajoy hätten ihm für den Vorschlag gedankt, hieß es weiter. Auch die Regionalzeitung "La Provence" griff den Bericht auf.
Angehörige am Düsseldorfer Airport zusammengekommen
Einen Tag nach dem Absturz versammelten sich rund 50 Angehörige von Todesopfern am Düsseldorfer Flughafen. Die Hinterbliebenen wurden von der Öffentlichkeit und dem normalen Airport-Betrieb abgeschirmt. Sie seien von rund 60 Notfall-Seelsorgern und Psychologen betreut worden, sagte ein Airportsprecher. Mehrere Angehörige seien über Nacht geblieben, einige erst am Mittwoch eingetroffen.
Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte die Angehörigen aufgesucht und sich nach einem Gespräch mit ihnen erschüttert gezeigt. "Das war mit Abstand das Schlimmste der letzten 20 Jahre - seit ich in dieser Branche bin", sagte er. Ein Sonderflug soll die Hinterbliebenen am Donnerstag nach Marseille bringen.
Deutsche und französische Justiz ermitteln
Die Staatsanwaltschaft von Marseille nahm Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung auf. Die Flugüberwachung habe kurz vor dem Unglück vergeblich versucht, Kontakt zu dem Airbus herzustellen, sagte Staatsanwalt Brice Robin. Düsseldorfer Staatsanwälte übernahmen die deutschen Ermittlungen. Auch Experten der Braunschweiger Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung sind in Frankreich im Einsatz. Das Bundeskriminalamt bereitet sich darauf vor, bei der Identifizierung der Opfer mitzuhelfen.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) betonte in Berlin, es gebe keine belastbaren Hinweise dafür, dass Dritte den Absturz absichtlich herbeigeführt hätten. Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve erklärte, es seien weiter alle Hypothesen auf dem Tisch.
Flaggen an öffentlichen Gebäuden auf Halbmast
Das Bundesinnenministerium ordnete Trauerbeflaggung an allen Bundesbehörden an. Auch in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern wehen die Fahnen an Dienstgebäuden auf halbmast. Im Bundestag soll am Donnerstag der Opfer des Unglücks gedacht werden. Neben den deutschen waren auch Passagiere aus Spanien, Australien, Argentinien, Iran, Venezuela, den USA, Großbritannien, Niederlande, Kolumbien, Mexiko, Japan, Dänemark, Belgien und Israel an Bord.
24 Stunden nach dem Absturz wurde am Mittwoch um 10.53 Uhr mit einer Gedenkminute auf deutschen Flughäfen an die Opfer erinnert. Weltweit beteiligten sich Mitarbeiter von Germanwings, Lufthansa und anderen Fluggesellschaften. Auch das Bundeskabinett in Berlin legte eine Schweigeminute ein.
Germanwings kompensiert Crew-Ausfälle
Germanwings strich am Dienstagabend zahlreiche Flüge. Etliche Besatzungen waren nicht zum Dienst gekommen. Auch am Mittwoch erklärten sich mehrere Crews für nicht einsatzbereit. Grund sei "der Schockzustand sowohl beim Kabinen- wie beim Cockpitpersonal", sagte ein Sprecher der Fluggesellschaft. Am Mittwoch sagte die Fluglinie nur einen einzigen Flug ab, ihren Flugbetrieb stemmte sie mit Hilfe der Konkurrenz.
Das Auswärtige Amt hat eine Hotline eingerichtet, die unter 030/5000 3000 zu erreichen ist. Auch die Airline Germanwings bietet unter 0800/1133 5577 Informationen für Angehörige von Passagieren. Darüberhinaus informiert der Flughafen Düsseldorf besorgte Verwandte unter der Rufnummer 0800/7766350.