Experte im Interview
Verstößt Russland gegen das Völkerrecht?
- Veröffentlicht: 08.03.2014
- 11:45 Uhr
- dkl, DPA
Die Intervention Russlands auf der ukrainischen Halbinsel Krim ist nach Ansicht des Völkerrechtsexperten Prof. Markus Kotzur von der Universität Hamburg rechtlich nicht gedeckt. Im Interview erklärt der Vize-Direktor des Instituts für Internationale Angelegenheiten, warum er zu dem Schluss kommt, dass sämtliche Rechtfertigungen Russlands für eine Verletzung der Souveränität der Ukraine nicht durchgreifen, sondern vornehmlich politisch motiviert sind.
Russische Soldaten haben in der Ukraine die Halbinsel Krim mehr oder weniger besetzt. Ist das völkerrechtlich gedeckt?
Kotzur: Das Völkerrecht kennt für eine militärische Intervention von außen eigentlich nur zwei eindeutige Fälle. Erstens: Es gibt ein explizites Mandat des UN-Sicherheitsrats, gestützt auf Kapitel 7 der UN-Charta. Die zweite Rechtfertigung einer militärischen Intervention wäre die Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta.
Liegt einer dieser Fälle vor?
Kotzur: Nein. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrats wird es auch nie geben, weil die USA zu den Vetomächten zählen und im Sicherheitsrat alles blockieren würden, was Russland eine Intervention erlauben könnte. Und auch eine Selbstverteidigung Russlands scheidet aus. Es ist nicht zu erkennen, dass die Ukraine einen Angriff gestartet hat.
Russland hat erklärt, dass es von der ukrainischen Regierung gebeten worden ist, terroristische Elemente auf der Krim zu bändigen.
Kotzur: Das bezeichnet man im Völkerrecht als Intervention auf Einladung. Das ist eine Argumentationsfigur, die umstritten ist, aber auch im Westen schon häufiger gebraucht worden ist, etwa in jüngerer Zeit mit Blick auf die französische Militärintervention in Mali (Opération Serval), die auf dringende Bitte der dortigen Regierung erfolgte. Im konkreten Fall haben wir jedoch das Problem, dass rechtlich nicht eindeutig geklärt ist, wer überhaupt die legitime Regierung ist. Russland sagt, das sei weiter der frühere Präsident Viktor Janukowitsch. Das sieht man in der Ukraine aber natürlich ganz anders - und da verschmelzen dann das Völkerrecht und das ukrainische Verfassungsrecht.
Russland argumentiert auch, eigene Staatsbürger in der Ukraine schützen zu wollen.
Kotzur: Das ist eine vieldiskutierte Rechtfertigung einer Intervention und von westlichen Staaten ebenfalls schon oft gebrauchte Argumentation, auf die sich Russland durchaus stützen kann. Allerdings stellt sich die Frage: Sind in der Ukraine tatsächlich so viele russische Staatsbürger so extrem gefährdet, dass eine militärische Intervention notwendig werden könnte? Einen Beigeschmack bekommt das Ganze zudem, dass zuletzt zahlreiche russischstämmige Ukrainer plötzlich die russische Staatsbürgerschaft bekommen haben. Da liegt der Verdacht nahe: Man schafft sich erst einmal die Staatsbürger, die man dann anschließend schützen will.
Und die Menschenrechte? Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat ausdrücklich darauf hingewiesen.
Kotzur: Das wäre eine Intervention aus humanitären Gründen. Dazu wären aber Menschenrechtsverletzungen größten Ausmaßes notwendig. Und wo die in der Ukraine vorliegen und von wem sie ausgehen sollen, ist sehr schwer zu begründen.
Russland bezieht sich in seiner Argumentation zudem auf die Sicherheit ihrer in Sewastopol stationierten Schwarzmeerflotte.
Kotzur: Natürlich ist es legitim, die Militärbasis einsatzbereit zu halten und darauf zu achten, dass die Ukraine das völkerrechtliche Abkommen mit Russland einhält. Das gälte übrigens auch im Fall von US-Stützpunkten in Deutschland. Das hieße aber nicht, dass dann amerikanische Polizei oder Soldaten auf deutschem Boden Bürger maßregeln und kontrollieren oder gar mit Waffengewalt einschreiten dürften.
Zusammengefasst agiert Russland also völkerrechtswidrig?
Kotzur: Sämtliche Rechtfertigungen für eine Verletzung der Souveränität der Ukraine scheinen mir nicht durchzugreifen, sondern vornehmlich politisch motiviert zu sein. Allerdings muss man auch konstatieren, dass Russland noch gar nicht so richtig interveniert hat. Es ist noch kein Schuss gefallen. Gleichwohl kann man unter Umständen von einer Intervention oder gar von einer Verletzung des Gewaltverbotes sprechen, weil das Territorium eines anderen Staates ohne dessen Willen mit Militärs überzogen worden ist.
Glauben Sie, dass sich der Konflikt friedlich lösen lässt?
Kotzur: Wenn man die Politik von Kremlchef Wladimir Putin anschaut, dann ist er natürlich ein extremer Provokateur, der Grenzen ausreizt. Auf der anderen Seite ist er aber auch ein Realpolitiker, der es auf den ganz großen Konflikt oder gar einen Krieg in Europa nicht ankommen lassen möchte. Da gibt es für mich schon die Hoffnung, dass das Ganze wieder herunterkocht.
Professor Markus Kotzur (45) ist seit 2012 Professor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Hamburg und stellvertretender Direktor des Instituts für Internationale Angelegenheiten. Zudem arbeitet der Mitherausgeber des Archivs des Völkerrechts als Gastdozent an Hochschulen im spanischen Granada, im indischen Kolkata sowie in Bayreuth. Der gebürtige Coburger studierte in Freiburg, Bayreuth und im US-amerikanischen Durham - ehe er sich 2002 an der Universität Bayreuth zum Thema «Grenznachbarschaftliche Zusammenarbeit in Europa» habilitierte.